Den Konzertveranstaltern gehen die Lichter aus

MATTHIAS NASKE

Trotz Corona-Lockerungen bleibt die Lage prekär. Eine Entspannung ist nicht in Sicht, droht doch mit der Saison 2020/21 der nächste wirtschaftliche EinbruchKOMMENTAR DER ANDEREN Matthias Naske  

9. Juli 2020, 07:00

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Im Gastkommentar macht Konzerthaus-Intendant Matthias Naske auf die fehlende Planungssicherheit im Kulturbereich aufmerksam. Und er kritisiert, dass die Corona-Eindämmungspolitik mit zweierlei Maß messe. 

Langsam geht uns im Wiener Konzerthaus die Luft aus: Den Betrieb ab Herbst aus eigener Kraft zu sichern ist trotz allen Einsatzes eine beinahe unmögliche Herausforderung. Nach den Wochen der Angst und des Stillstands folgen die Wochen der schrittweisen Lockerungen, die bei den kulturellen Betrieben nur mit besonders gravierender Verzögerung ankommen. Eine Folge dieser Einschränkungen werden weitreichende negative betriebswirtschaftliche Konsequenzen sein.

Ein ganz offensichtliches Dilemma liegt in der Unvereinbarkeit der zeitlichen Planungshorizonte: Während kulturelle Institutionen ihr künstlerisches Konzept in vielen Details über Saisonen und damit über Jahre im Voraus planen und vertraglich in feste Bahnen lenken, disponieren und reagieren die Gesundheitsbehörden zur Bekämpfung der Pandemie im Wochen- und Monatstakt. So wird in diesen Wochen Flexibilität im kulturellen Sektor in einem Maß erwartet, das an die Grenzen des Machbaren führt.

Die Perspektive für kulturelle Betriebe ist stark reglementiert, und die Appelle der Systemrelevanz von Kultur bleiben weiter ungehört.

Zweierlei Maß 

Während das Leben in Österreich in vielen Bereichen nach dem jähen Stillstand ab Mitte März langsam eine sorgsam moderierte Normalität annimmt, ist diese Perspektive für kulturelle Betriebe noch immer substanziell reglementiert. Mein Eindruck ist, dass mit unterschiedlichem Maß gemessen und die Bedeutung der kulturellen Teilhabe in ihrem elementaren Wert für die Gesellschaft nicht angemessen gesehen wird. Es ist nicht nachvollziehbar, warum Menschen in Flugzeugen, in öffentlichen Verkehrsmitteln oder in der Gastronomie auf engstem Raum nebeneinander sitzen dürfen, jedoch der eingebrachte Vorschlag einer uneingeschränkten Platzbelegung mit der Vorgabe der Mund-Nasen-Schutzpflicht für alle Besucherinnen und Besucher einer kulturellen Veranstaltung keine Zustimmung findet.

Ungehörte Appelle 

Die jüngst veröffentlichte Covid-19-Lockerungsverordnung bringt den Kulturbetrieben, die überwiegend eigenwirtschaftlich arbeiten, ab dem 1. 9. 2020 nur wenig Erleichterung. Im Tenor der Einschätzung mancher politisch handelnden Personen werden kulturelle Betriebe so zu einem krisenbedingt verzichtbaren Teil unseres Zusammenlebens. Und alle Appelle der Systemrelevanz von Kultur bleiben ungehört. Zumal: Wenn es schon kein Verständnis für den ideellen Wert von Kunst und Kultur geben mag, so sollte doch zumindest die Einsicht in die wirtschaftliche Relevanz unseres Schaffens für die vielgefeierte Kulturnation bestehen.

Es braucht keine visionären Fähigkeiten, um vorauszusehen, dass uns allen schwierige Jahre bevorstehen. Die wirtschaftlichen Schäden und Belastungen der Volkswirtschaft infolge der Corona-Pandemie werden immer deutlicher zu Tage treten und bei den Menschen ankommen. Dabei wird die Verunsicherung durch eine potenzielle Ansteckung mit dem Coronavirus noch das geringste Übel sein. Trotz vieler Anstrengungen der Regierung, zumindest jene Teile der Wirtschaft zu stärken, von denen man der Ansicht ist, sie seien es wert, werden unzählige Arbeitsplätze verlorengehen. Unzählige Menschen werden sich weit schneller, als sie es sich vorstellen können, als „Menschen ohne Welt“ wiederfinden. Der Philosoph Günther Anders beschrieb den Menschen ohne Welt als einen, der gezwungen ist, in einer Welt zu leben, die nicht die seine ist. Wir haben soziale Herausforderungen vor uns, die wir in den ersten Monaten der Krise verdrängen und dennoch nur dann gemeinsam meistern können, wenn wir uns auf die stärkste gemeinsame Kraft, die Solidarität, besinnen. Kulturelle Institutionen haben dabei eine zentrale Funktion für die Aufrechterhaltung der Integrität der Gesellschaft. Nur wer sich als Teil einer funktionierenden Gesellschaft erlebt, wie pluralistisch diese auch immer ist, wird sich gemeinsamer Werte besinnen und Solidarität leben können. Aus diesem Grund bin ich davon überzeugt, dass kulturellen Betrieben eine notwendige Rolle in der Aufrechterhaltung und der Stärkung der Demokratie gerade in Krisenzeiten zukommt.

Drohendes Budgetloch 

Der in diesen Tagen veröffentlichte Fixkostenfonds für Non-Profit-Organisationen hilft die Fixkosten der ersten Phase der Corona-Epidemie auszugleichen und wird vielen gemeinnützigen Vereinen erlauben, mit einem blauen Auge über die ersten Monate hinwegzukommen. Die eigentliche Krise in der Kulturwirtschaft steht mit dem Beginn der Saison 2020/21 jedoch erst bevor. Am Beispiel des Wiener Konzerthauses kann das leicht transparent gemacht werden: Bisher waren wir als privater Verein in der Lage, den über 900 Konzerte umfassenden Spielbetrieb größtenteils aus eigener Kraft zu finanzieren – lediglich elf Prozent unserer Einnahmen stammen aus öffentlichen Zuwendungen. Unser konsequent auf Effizienz und Effektivität aufgebautes betriebswirtschaftliches Modell kann unter den ab 1. 9. 2020 geltenden Beschränkungen für den Ticketverkauf nicht fortgeführt werden.

Zwischen der „neuen Normalität“ und dem über viele Jahre entwickelten und mit großer Leidenschaft gelebten Modell klafft aufgrund der Einschränkung der Nutzungskapazitäten und des Wegfalls der Deckungsbeiträge aus der Vermietung der Säle ein Budgetloch von 6,1 Millionen Euro. Was der kulturelle Sektor braucht, ist Klarheit, Entschlossenheit und substanzielle Hilfe. (Matthias Naske, 9.7.2020)

Matthias Naske ist Intendant des Wiener Konzerthauses.

Zum Thema:

Pandemie und Kunst


Das Schicksal der Künstler vor dem Hintergrund der Pandemie

Schriftsteller können weiter schreiben und kreativ sein. Die Bücher sind nicht infektiös, höchstens im positiven Sinne.

Kunstmaler und Kunstphotografen können weiter kreativ sein und ihre Werke veräußern.

Film- und Fernsehschauspieler sind in der Lage weiter zu arbeiten und im Kino oder Fernsehen zu glänzen.

Aber anders ist die Situation für Theaterschauspieler. Sie haben quasi Berufsverbot.

Und was machen Musiker?

Klar, sie können und müssen sogar weiter üben, aber welche Perspektiven haben sie? Ähnlich wie Theaterschauspieler lebt diese Gattung vom interaktiven Austausch mit demPublikums.

Bevor der Hollywoodstar Antony Quinn Filme machte war er Theaterschauspieler und verriet das Geheimnis seiner Bühnenausstrahlung. Er beobachtete hinter dem Vorhang das Publikum und sog deren Energie auf um dann bei der Vorführung diese wieder an das Publikum zurück zu geben! Schon ist die Verschmelzung des Publikums mit den Künstlern da.

Genau das ist das Spannende und nicht zu ersetzende Phänomen von Life- Konzerten. Alternativen gibt es dazu nicht. 

Der verzweifelte Versuch künstlerisch zu überleben indem Online Konzerte oder Studioaufnahmen angeboten werden sind die letzten Zuckungen einer Spezies, die wie kaum eine andere unsere Kultur repräsentieren.

Wohin wird die Reise gehen? Massenveranstaltungen in Konzerthallen mit Tausenden Zuschauern wird es bis auf unabsehbare Zeit nicht mehr geben. Um beispielsweise einige zu nennen: Berliner, Kölner, Essener oder Elbphilharmonie, Der Wiener Musikverein oder Konzerthaus, Concertgebow Amsterdam, Herkulessaal München, Wigmore Hall und Albert Hall in London, Carnegie-Hall in New York werden verwaisen und kosten nur Geld im Unterhalt. Leider lebt Isaac Stern nicht mehr, der zuletzt das traditionsreiche Konzerthaus rettete. Vielleicht erleidet die Carnegie Hall ein ähnliches Schicksal wie der Bösendorfer Saal in der Wiener Herrengasse? Hier konzertierten einst Johannes Brahms, Franz Liszt und Frédéric Chopin. Nach dem Krieg musste das Gebäude einem hässlichen Hochhaus weichen, obwohl es völlig unversehrt den Krieg überstanden hatte. Ein Skandal des Wiener Denkmalamtes. Da haben sich Beamte bestechen lassen.

Vielleicht kommen wir zurück auf die Tradition im 19. Jahrhundert, als hauptsächlich Salonkonzerte von privater Seite organisiert wurden?

Vorstellbar sind solche Haus – bzw. Salonkonzerte mit höchstens 50 Zuschauern. Der Kammermusiksaal der Ersten Wiener Klavierschule hat 60 Personen Fassungsvermögen und würde sich mit Größe und durch die besondere Atmosphäre anbieten.